
Anerkennung der Berufsunfähigkeit - die eigene Stimme erheben!
Es ist so wichtig für unsere Rechte und Bedürfnisse einzustehen, besonders in schwierigen Lebenssituationen. Inmitten von Sorgen und Unsicherheiten kann gerade der Rückhalt einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht nur finanziellen, sondern auch emotionalen Sorgen lindern.
Der folgende Text beleuchtet den Fall einer Erzieherin, die aufgrund von Rückenproblemen in ihrer beruflichen Laufbahn Schwierigkeiten bekam. Sie hatte auf die Sicherheit einer Berufsunfähigkeitsversicherung gesetzt, doch die Rückmeldungen des Versicherers waren alles andere als klare Zusagen.
Ihre Kampf für Gerechtigkeit und die Anerkennung ihrer Ansprüche vor Gericht waren erfolgreich, werfen aber auch viele Fragen auf, wie z.B.:
- Was können wir von solchen Fällen lernen?
- Wie können wir uns besser aufstellen, wenn es darum geht, unsere Rechte zu verteidigen?
Steigen Sie mit uns in diesen Rechtsfall ein und entdecken Sie, wie entscheidend es ist, die eigene Stimme zu erheben und nicht aufzugeben, wenn es um die eigene Zukunft geht.
Kurze Zusammenfassung des Falls
- Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig (16. Zivilsenat) befasste sich in einem Berufungsverfahren mit der Frage, ob einem Versicherungsnehmer (hier: einer Erzieherin) fortlaufend Leistungen
aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung zustehen.
- Die Klägerin litt an Rückenbeschwerden, die sie an ihrer bisherigen Tätigkeit als Krippenerzieherin hinderten. Der Versicherer hatte zunächst „Kulanzleistungen“sowie später ein befristetes
Anerkenntnis erbracht. Später verweigerte der Versicherer jedoch weitere Zahlungen mit Verweis auf angeblich mögliche alternative Tätigkeiten (z.B. in einem Hort).
- Das Gericht stellte fest, dass das Schreiben vom 19. April 2017 ein wirksames und unbefristetes Anerkenntnis war, weil für die darin enthaltene Befristung kein triftiger (sachlicher) Grund
vorlag und sie auch nicht ausreichend begründet wurde.
- Eine nachträgliche Verweisung auf andere Tätigkeiten ohne Änderungen im Gesundheitszustand (Nachprüfung) ist somit unwirksam. Die Berufung des Versicherers blieb erfolglos.
Wichtige Zitate aus dem Urteil
Zum unbefristeten Anerkenntnis
"[…] Dieses spätere Schreiben vom 19. April 2017 […] stellt ein Anerkenntnis im Sinne von § 9 Abs. 2 der Bedingungen dar. […] Dieses Anerkenntnis ist ungeachtet der darin ausgesprochenen Befristung als ein unbefristetes Anerkenntnis zu werten. Denn für die Befristung bestand ein sachlicher Grund nicht, und es fehlte auch an einer hinreichenden Begründung.”
Zum fehlenden sachlichen Grund
"Da eine Versicherungsnehmerin bei Vorliegen der vom Versicherer pflichtgemäß zu prüfenden Leistungsvoraussetzungen grundsätzlich Anspruch auf ein uneingeschränktes Anerkenntnis hat und ein einmaliges befristetes Anerkenntnis die Ausnahme ist, kommt letzteres nur ‘in zweifelhaften Fällen’ in Betracht. […] Vorliegend gab es einen solchen Grund nicht […]”
Zu den Nachprüfungsrechten
"Gemäß § 174 Abs. 1 VVG wird der Versicherer nur leistungsfrei, wenn die Voraussetzungen der Leistungspflicht entfallen sind. Eine Abänderung im Nachprüfungsverfahren kommt […] nur in Betracht, wenn sich die tatsächlichen Umstände so verändert haben, dass eine bestehende Berufsunfähigkeit dadurch weggefallen ist.”
Die Berufsunfähigkeitsversicherung muss sich an ihre Erklärung halten
Die Entscheidung dreht sich um eine Erzieherin, die wegen ihrer Rückenprobleme ihren Job in einer Krippe nicht mehr ausüben konnte. Sie hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Zunächst zahlte die Versicherung ihr Geld, meinte jedoch, das sei nur „auf Kulanz“ und nicht verbindlich.
Später bot die Versicherung eine zeitlich befristete Zahlung an und wollte sich dann wieder zurückziehen. Als Begründung sagte der Versicherer, die Erzieherin könne ja in einem anderen Arbeitsbereich (z.B. in einem Hort) arbeiten. Sie klagte zunächst vor dem Landgericht Itzehoe. Dieses gab ihr Recht.
Das OLG Schleswig hat klargestellt, dass die Versicherung sich an ihre eigene Erklärung vom 19. April 2017 halten muss. In dieser Erklärung hatte sie nämlich anerkannt, dass die Klägerin betragsmäßig das bekommt, was eine Berufsunfähigkeitsversicherung vorsieht (Rente und Beitragsbefreiung).
Die geplante Befristung auf ein paar Monate war aber ungültig: Wer als Versicherer nur vorläufig zahlen will, braucht einen guten und nachvollziehbaren Grund (z.B. noch laufende medizinische oder berufliche Reha). Hier fehlte dieser Grund: Es war nicht wirklich zu erwarten, dass sich an den Beschwerden der Klägerin etwas ändert oder dass sie schnell einen anderen geeigneten Arbeitsplatz findet.
Da somit ein unbefristetes Anerkenntnis vorliegt, kann der Versicherer nicht einfach ablehnen. Außerdem kann er nicht einfach später sagen, es gebe sowieso andere Tätigkeiten. Er darf nur dann neu prüfen, wenn sich der Gesundheitszustand tatsächlich verbessert hat. Eine reine Meinungsänderung oder nachträgliche Idee zur Verweisung reicht nicht.
Das OLG Schleswig bestätigte damit die Argumente der Vorinstanz (LG Itzehoe).
Rat von Rechtsanwalt Jan-Martin Weßels
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Sorgfältige Prüfung von Versichererschreiben
Wenn Sie ein Schreiben Ihres Berufsunfähigkeitsversicherers bekommen, in dem er „vorläufig“ oder „auf Kulanz“ leistet, sollten Sie genau prüfen (oder prüfen lassen), ob die Versicherung nicht eigentlich ein formelles Anerkenntnis schuldet. Achten Sie darauf, ob der Versicherer eindeutig eine bindende Anerkennung abgeben will oder versucht, nur unverbindlich zu zahlen.
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Begründung der Befristung verlangen
Eine Befristung der Leistungen muss sachlich gerechtfertigt und dem Versicherungsnehmer plausibel erklärt werden. Fehlt diese Begründung oder ist sie unzureichend, kann trotz „befristetem Anerkenntnis“ tatsächlich ein unbefristeter Leistungsanspruch entstanden sein.
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Nachprüfungen ernst nehmen
Auch wenn der Versicherer einmal anerkannt hat, darf er später prüfen, ob sich Ihr Gesundheitszustand verbessert hat. Dann sollten Sie ärztliche Befunde aktuell halten und sich gegebenenfalls beraten lassen, um Ihre Leistungsansprüche zu sichern.
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Rechtzeitig klagen oder anwaltliche Hilfe suchen
Wenn Sie der Meinung sind, Ihnen stehen Leistungen zu, die verweigert werden, lohnt es sich, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oft sind bestimmte Fristen im Versicherungsvertrag zu beachten, und es kann sehr wichtig sein, rechtzeitig Klage zu erheben, damit man keine Ansprüche verliert.
Kurz gesagt: Bleiben Sie wachsam bei Schreiben Ihres Versicherers, dokumentieren Sie Ihre gesundheitliche Entwicklung und suchen Sie im Zweifel anwaltlichen Rat.
Interessante Fragen und Antworten zum vorliegenden BU-Fall
Warum ist es wichtig, ob ein Versicherer nur „auf Kulanz“ zahlt oder ein formelles Anerkenntnis abgibt?
„Kulanz“ ist rechtlich unverbindlich und kann jederzeit beendet werden. Ein „Anerkenntnis“ bindet den Versicherer dauerhaft – er kann die Zahlung nur beenden, wenn sich die Umstände ändern (z.B. Verbesserung der Gesundheit).
Welchen Vorteil hat ein unbefristetes Anerkenntnis für Versicherungsnehmer?
Ein unbefristetes Anerkenntnis bietet Sicherheit: Der Versicherer erkennt an, dass andauernd Leistungen gezahlt werden müssen, bis entweder die Berufsunfähigkeit entfällt oder die Versicherung endet.
Was bedeutet „Verweisung“ in der Berufsunfähigkeitsversicherung?
Der Begriff „Verweisung“ meint die Möglichkeit des Versicherers, den Versicherten auf eine zumutbare andere Tätigkeit zu verweisen, die seiner Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspricht. Besteht eine solche zumutbare Tätigkeit, liegen die Voraussetzungen für die (volle) Berufsunfähigkeitsrente nicht vor.
Dürfen Versicherer mehrere befristete Anerkenntnisse nacheinander aussprechen?
Nein, nach dem Gesetz ist nur ein (einmaliges) befristetes Anerkenntnis zulässig, und auch das nur unter klaren Voraussetzungen (d.h. bei unklarer Lage). Mehrere hintereinander geschaltete Befristungen sind grundsätzlich unzulässig.
Was müssen Versicherte tun, wenn die Versicherung trotz unbefristetem Anerkenntnis die Zahlungen einstellt?
Sie sollten die rechtliche Situation prüfen (am besten mit einem Anwalt) und gegebenenfalls gerichtlich vorgehen. Der Versicherer muss beweisen, dass sich die Situation verändert hat und die Berufsunfähigkeit nicht mehr besteht.
Quellen
(OLG Schleswig Hinweisbeschluss v. 10.2.2025 – 16 U 115/24, nach Berufungsrücknahme rechtkräftig, die Entscheidung ist abrufbar unter BeckRS 2025, 5236, beck-online)
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