
Urteil des OLG Karlsruhe zur Berufsunfähigkeit eines Profi-Fußballers
Das Oberlandesgericht Karlsruhe beschäftigte sich in einer aktuellen Entscheidung zur Berufsunfähigkeitsversicherung aus Dezember 2024 mit der Frage, unter welchen Umständen ein Profifußballer vom Berufsunfähigkeitsversicherer auf die neu ausgeübte Tätigkeit als Torwarttrainer konkret verwiesen werden konnte.
Daran hing die Frage, ob die neue berufliche Tätigkeit die Lebensstellung des ehemaligen Profifußballers wahren konnte. Damit sind wir bei dem entscheidenden Begriff.
Was meint Lebensstellung eines ehemaligen Profifußballers im Rahmen einer konkreten Verweisung?
Damit zunächst zum Fall, um den Begriff der Lebensstellung im Rahmen einer konkreten Verweisung anhand des konkreten Sachverhalts näher zu erläutern.
Zum Fall des ehemaligen Profifußballers: Der Kläger, ein 1982 geborener ehemaliger Profifußballer, stellte nach einer Verletzung einen Antrag auf Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, da er seinen Beruf als Profifußballer nicht mehr ausüben konnte. Nachdem seine Berufsunfähigkeit anerkannt wurde, erhielt er Leistungen, die jedoch 2022 eingestellt wurden, da die Beklagte meinte, er übe inzwischen mit seiner Tätigkeit als Torwarttrainer eine seiner früheren Lebensstellung entsprechende Arbeit aus, so dass sie ihn auf diese Tätigkeit verweisen könne.
Der Kläger argumentierte, dass die Einstufung seiner neuen Tätigkeit als vergleichbar hinsichtlich seiner durch den früheren Beruf vermittelten Lebensstellung nicht gerechtfertigt sei, da das Einkommen deutlich niedriger sei und die Vergütung damit nicht auf dem Niveau seiner sportlichen Karriere liege.
Das Gericht wies die Berufung der Beklagten zurück und gab dem Kläger recht.
Im vorliegenden Fall wurde vom Gericht also die frühere Lebensstellung des Klägers als Profifußballer mit seiner aktuellen Lebensstellung als Torwarttrainer im Rahmen der Prüfung der konkreten Verweisung verglichen.
Kurzer Exkurs: Fragen wir uns zunächst, was diese Lebensstellung ausmacht, oder wie die Juristen sagen, definiert ist. Die Lebensstellung wird in erster Linie durch die soziale Wertschätzung und das Einkommen definiert. War der frühere Beruf also durch eine hohe soziale Wertschätzung und/oder ein hohes Einkommen definiert und ist dies bei der neuen beruflichen Tätigkeit nicht mehr der Fall, kann die Berufsunfähigkeitsversicherung die Leistungen nicht mit dem Argument einstellen, der Versicherungsnehmer sei konkret auf die neue Tätigkeit zu verweisen.
Welche Kriterien wurden hier vom Gericht herangezogen?
Neue berufliche Tätigkeit ist zunächst hinsichtlich der Fähigkeiten nicht „unterwertig“: Zwar wurde die Tätigkeit des Klägers als Torwarttrainer als den Fähigkeiten eines ehemaligen Profisports vom Oberlandesgericht zunächst als angemessen angesehen, da sie keine signifikant geringeren Fähigkeiten erfordert. Es handele sich um keine unterwertige Tätigkeit, der Kläger sei also nicht unterfordert, was für ihn unzumutbar wäre.
Denn: Obwohl die Rolle des Torwarttrainers körperlich weniger anspruchsvoll sei als die eines aktiven Fußballspielers, profitiere der Kläger von seinen in der aktiven Karriere erlernten Fähigkeiten und Erfahrungen. Diese würden die Grundlage für seine neue Tätigkeit bilden.
Zusätzlich bringe die Arbeit als Trainer soziale und didaktische Anforderungen mit sich, die zusätzliche Fähigkeiten und theoretisches Wissen erforderten. Der Kläger stehe zwar möglicherweise nicht mehr im Rampenlicht und sei nicht demselben Leistungsdruck ausgesetzt, würde jedoch weiterhin an den Erfolgen seiner Spieler und der Mannschaft gemessen.
Die Frage nach der vergleichbaren sozialen Wertschätzung lässt der Senat offen
Ob die jetzige Tätigkeit als Torwarttrainer dem Kläger wieder dieselbe soziale Wertschätzung verschafft, wie seine frühere Tätigkeit als Fußballprofi, lässt der Senat aber offen, da auf jeden Fall das Einkommen, das der Kläger im Zeitpunkt der Verweisung in seiner neuen Tätigkeit als Torwarttrainer erziele, in keiner Weise geeignet sei, seine bisherige, durch seine Tätigkeit als Fußballprofi mit dem entsprechenden Verdienst geprägte Lebensstellung zu wahren.
Einkommen als Torwarttrainier in keiner Weise geeignet, die durch die Tätigkeit als Fußballprofi mit dem entsprechenden Verdienst geprägte Lebensstellung zu wahren: Das Oberlandesgericht Karlsruhe argumentiert zwar, dass es bei Fußballprofis grundsätzlich gerechtfertigt sei, wirtschaftliche Vorbelastungen aufgrund der typischen Einkommensverluste nach Karriereende anzunehmen, die die aktive Karriere als Fußballprofi bereits mitprägen, was in anderen Worten bedeutet, dass dem Fußballprofi in seiner aktiven Zeit ein Teil seiner Vergütung nicht für die Lebensstellung zur Verfügung steht, weil er für die Zeit nach seinem Karriereende sparen muss.
Konkreter und auf den Fall bezogen wird das Gericht hier aber nicht, meint aber, dass diese Vorbelastungen grundsätzlich größere Einkommenseinbußen bei einem Berufswechsel, um den Lebensstandard zu bewahren, rechtfertigen. Es weist aber auch daraufhin, dass es auch Gerichtsurteile gibt, die geringere Einkommensverluste als nicht hinnehmbar ansehen, wie etwa ein Urteil des KG Berlin, das Gehaltseinbußen von 21 % für nicht mehr akzeptabel hält. Letztlich kam es hier aber nicht darauf an.
Der Kläger habe einen Verlust von über 75 % seines Bruttoeinkommens erlitten, was seine bisherige Lebensstellung auf jeden Fall erheblich beeinträchtige. In Anbetracht seiner früheren hohen Einkünfte sei diese Einkommensminderung als untragbar zu betrachten. Daran ändere auch nicht, dass bei der Gesamtbewertung des Einkommensverlustes ggf. auch berufliche Entwicklungschancen berücksichtigt werden können.
Obwohl es grundsätzlich auch möglich ist, die begrenzte Verdienstdauer eines Profisportlers als negativen Faktor zu betrachten, bietet die vorherige berufliche Laufbahn des Klägers (als Fußballprofi) dennoch Anschlussmöglichkeiten in anderen Tätigkeiten, so das Gericht.
Die aktuelle Position als Torwarttrainer habe zwar den Vorteil, potenziell langfristig ausgeübt werden zu können und könnte Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Allerdings seien in dem zu entscheidenden Fall keine konkreten Perspektiven oder Entwicklungen bekannt, die seine Lebensstellung erheblich verbessern würden. Zudem sei die neue Position auch mit Risiken behaftet, da sie auf einem befristeten Vertrag basiert und vom Erfolg des Klägers abhängt.
Insgesamt habe der neue Beruf zwar Vorteile im Vergleich zur Karriere als Profifußballer, diese rechtfertigen jedoch nicht die erhebliche Gehaltseinbuße von über 75 %.
Durchbrechung des sog. Stichtagsprinzips?
Für diejenigen, die noch tiefer eintauchen wollen, noch der folgende Zusatz: Auch mit dem nachfolgenden Argument – mit der Durchbrechung des sog. Stichtagsprinzips- konnte die beklagte Versicherung nicht durchdringen:
Zitat:
...
„77 (aa) Die aktuell ausgeübte Tätigkeit des Versicherten ist nach den allgemeinen Grundsätzen auch im Rahmen einer nachträglichen Verweisung im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens derjenigen Tätigkeit gegenüberzustellen, die durch ihn vor Eintritt der Berufsunfähigkeit „in gesunden Tagen“ zuletzt ausgeübt wurde (sog. „Stichtagsprinzip“,st. Rspr. siehe nur BGH, Urteil vom 21.04.2010 – IV ZR 8/08, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15, juris Rn. 16).
78 Soweit in der Literatur vertreten wird, dass bei Profisportlern, ab dem Zeitpunkt, zu dem ihre aktive Karriere voraussichtlich ohnehin beendet gewesen wäre, zumindest hinsichtlich des Einkommens nicht auf das zum Stichtag erzielte Einkommen, sondern auf das (voraussichtliche) oder durchschnittliche „Nach-Karriere-Einkommen“ abzustellen sei, liefe dies auf eine Durchbrechung des Stichtagsprinzips hinaus (ausdrücklich dafür Baumann in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2019, § 2 BUV Rn. 177; i.E. wohl auch Rogler, in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl. 2024, § 2 BUV Rn. 519; ders., in Veith/Gräfe/Lange/Rogler, Der Versicherungsprozess, 5. Aufl. 2023, Rn. 221). Für eine derartige Ausnahme, die die Berufsunfähigkeitsversicherung insoweit einer Schadensversicherung annähern würde, lässt sich indes weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Grundlage finden.
79 Abzulehnen sind auch Auffassungen, die anstatt des zum Stichtag tatsächlich bezogenen Einkommens ein – wie auch immer bestimmtes – Einkommen zwischen einem vor der Tätigkeit als Profi ausgeübten Beruf und dem als Profi erzielten Einkommen heranziehen wollen (so Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 32. Aufl. 2024, § 172 Rn. 95 bzw. AVBBU § 2 Rn. 60; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. 2020, Kap. 8 Rn. 92). Ein früheres Einkommen in einem „normalen“ Beruf (mit-) zuberücksichtigen, könnte schon praktisch daran scheitern, dass es ein solches bei Profisportlern mitunter gar nicht geben wird (Baumann, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2019, § 2 BUV Rn. 177). Zudem ist auch nicht ersichtlich, was eine solche Lösung, die weder an das Einkommen zum Stichtag noch an das hypothetische Nachkarriereeinkommen ohne Berufsunfähigkeit anknüpft, sachlich rechtfertigen könnte. Jedenfalls aber läge auch darin eine Durchbrechung des
Stichtagsprinzips, für die es keine gesetzliche oder vertragliche Grundlage gibt.
80 Soweit die Beklagte zur Rechtfertigung einer Abweichung vom Stichtagsprinzip im Nachgang zur mündlichen Verhandlung darauf verwiesen hat, dass feststehende berufliche Entwicklungen bei der Verweisbarkeit zu berücksichtigen seien, verkennt sie, dass auch daraus keine Ausnahme vom Stichtagprinzip abgeleitet wird. Vielmehr handelt es sich insoweit nur um einen weiteren Umstand, der die Lebensstellung prägt und daher im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen sein kann (dazu sogleich unter (ee)). Abweichendes folgt auch nicht aus der von ihr zitierten Rechtsprechung (OLG Saarbrücken, Urteil vom 31.05.2006 – 5 U 605/05 - 92, juris Rn. 31; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2015 – 7 U 124/15, juris Rn. 70).
81 Zu vergleichen ist vorliegend also die frühere Lebensstellung des Klägers als Profifußballer bei seinem letzten Verein mit seiner jetzigen Lebensstellung als Torwarttrainer bei seinem aktuellen Verein.“...
Zusammenfassung des Urteils des OLG Karlsruhe (Az. 12 U 34/24)
Hier können Sie das Urteil abrufen: https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001595464
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