Stellen Sie sich vor, Sie erleiden einen Unfall oder werden schwer krank – und plötzlich können Sie Ihren Beruf nicht mehr ausüben. Sie haben vorgesorgt und eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Doch jetzt, wo Sie die Leistung dringend brauchen, stellt sich die Versicherung quer: Sie verweist Sie auf einen anderen Job oder verlangt, dass Sie Ihren Betrieb umorganisieren. Was bedeutet das für Sie? Wie können Sie sich wehren? Und worauf sollten Sie schon beim Abschluss achten?
Sie erfahren, wie die Begriffe „Umorganisation“ und „Verweisung“ in der Praxis funktionieren, wie Gerichte sie auslegen und wie Sie sich als Versicherter optimal schützen. Sie erhalten konkrete Beispiele, Tipps für den Abschluss und die Leistungsbeantragung – und Antworten auf die wichtigsten Fragen, die sich im Ernstfall stellen. Viele Versicherte wissen nicht, dass sie sich gegen unzumutbare Verweisungen oder Umorganisationen wehren können – und dass Gerichte oft zu ihren Gunsten entscheiden, wenn die Lebensstellung nicht gewahrt bleibt.
Berufsunfähigkeit in der Berufsunfähigkeitsversicherung bedeutet, dass Sie Ihren zuletzt ausgeübten Beruf wegen Krankheit, Unfall oder Kräfteverfall für längere Zeit (meist mindestens sechs Monate) nicht mehr ausüben können. Das muss ärztlich nachgewiesen werden. Es reicht nicht, dass Sie irgendeinen Job nicht mehr machen können – entscheidend ist Ihr letzter Beruf, so wie Sie ihn in „gesunden Tagen“ ausgeübt haben.
Beispiel: Frau Müller ist Krankenschwester. Nach einem schweren Bandscheibenvorfall kann sie nicht mehr heben, stehen oder lange gehen. Sie kann ihren Beruf als Krankenschwester nicht mehr ausüben. Sie ist berufsunfähig, auch wenn sie theoretisch noch als Telefonistin arbeiten könnte.
Wichtig: Berufsunfähigkeit ist nicht dasselbe wie Erwerbsunfähigkeit. Bei der Erwerbsunfähigkeit geht es darum, ob Sie überhaupt noch irgendeinen Beruf ausüben können. Die Berufsunfähigkeitsversicherung schützt Sie speziell in Ihrem zuletzt ausgeübten Beruf.
Zahlt die Versicherung im Fall der Krankenschwester jetzt? Reicht das aus, um Sie als berufsunfähig bezeichnen zu können? Zumeist nicht. Um die Fragen zu klären, schauen wir in den Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag.
Wurde eine Verweisungsklausel oder Umorganisationsklausel vereinbart? Denn Berufsunfähigkeit bedeutet, dass sowohl die medizinischen Voraussetzungen dafür vorliegen, als auch keine
Verweisung oder Umorganisation möglich sind.
Verweisung bedeutet, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung zusätzlich zu den medizinischen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit prüft, ob Sie noch eine andere Tätigkeit ausüben oder ausüben könnten, die Ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspricht. Es gibt zwei Arten:
Beispiel für abstrakte Verweisung: Herr Schmidt war Bauleiter. Nach einem Unfall kann er nicht mehr auf Baustellen arbeiten. Die Versicherung meint, er könne als technischer Zeichner im Büro arbeiten – obwohl er diesen Job nie gemacht hat. Das ist eine abstrakte Verweisung.
Beispiel für konkrete Verweisung: Frau Meier war Zahntechnikerin. Nach einer Allergie arbeitet sie tatsächlich als Sachbearbeiterin in einer Versicherung, verdient ähnlich viel und hat einen vergleichbaren Status. Die Berufsunfähigkeitsversicherung kann die Leistung verweigern, weil sie konkret auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden kann.
Wichtig: Moderne Verträge verzichten meist auf die abstrakte Verweisung. Achten Sie beim Abschluss darauf!
Umorganisation betrifft vor allem Selbstständige und Freiberufler. Die Berufsunfähigkeitsversicherung prüft, ob Sie Ihren Betrieb so umgestalten könnten, dass Sie trotz gesundheitlicher Einschränkungen weiterarbeiten können – zum Beispiel durch die Einstellung von Personal oder die Änderung von Abläufen.
Beispiel: Herr Weber ist selbstständiger Bäckermeister. Nach einem Herzinfarkt kann er nicht mehr in der Backstube stehen. Die Versicherung prüft, ob er durch die Einstellung eines Bäckers und die Übernahme von Büroarbeiten weiter als Betriebsleiter arbeiten könnte. Ist das zumutbar und wirtschaftlich sinnvoll, muss er umorganisieren – und bekommt keine Leistung.
Wichtig: Die Umorganisation muss zumutbar und wirtschaftlich sinnvoll sein. Sie darf nicht dazu führen, dass der Betrieb ruiniert wird oder der Selbstständige nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Versicherung prüft zunächst, ob Sie Ihren zuletzt ausgeübten Beruf noch zu mindestens 50 % ausüben können. Ist das nicht der Fall, prüft sie, ob Sie auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden können (Verweisung) oder ob Sie als Selbstständiger Ihren Betrieb umorganisieren können (Umorganisation).
Kommt es zum Streit, prüfen Gerichte sehr genau, ob die Voraussetzungen für eine Verweisung oder Umorganisation wirklich vorliegen. Sie achten darauf, dass die neue Tätigkeit oder die umorganisierte Rolle Ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht – also Einkommen, Status und soziale Wertschätzung vergleichbar sind.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
Die neue Tätigkeit muss Ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechen. Das bedeutet:
Beispiel: Ein Ingenieur kann nach einem Unfall nicht mehr auf Baustellen arbeiten. Die Berufsunfähigkeitsversicherung verweist ihn auf eine Tätigkeit als technischer Zeichner. Das Gericht prüft: Ist das Einkommen ähnlich? Ist der Status vergleichbar? Wenn nicht, ist die Verweisung unzulässig. Wichtig: Die Formulierungen und damit Bedeutungen können je nach Vertrag variieren. Schauen Sie daher bitte in Ihren Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag!
Die Umorganisation muss zumutbar und wirtschaftlich sinnvoll sein. Sie darf nicht dazu führen, dass der Betrieb ruiniert wird oder der Selbstständige nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Die Kosten der Umorganisation müssen im Verhältnis zum Nutzen stehen.
Berufsunfähigkeit bezieht sich auf Ihren zuletzt ausgeübten Beruf. Erwerbsunfähigkeit bedeutet, dass Sie überhaupt keinen Beruf mehr ausüben können.
Abstrakte Verweisung bedeutet, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung Sie auf einen theoretisch möglichen Beruf verweist, konkrete Verweisung bezieht sich auf eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit. Moderne Verträge verzichten meist auf die abstrakte Verweisung.
Nein. Nur Tätigkeiten, die Ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechen, sind überhaupt zumutbar. Sie sind auch nicht gezwungen eine neue Tätigkeit aufzunehmen. Bei einer konkreten Verweisung kann der Versicherer auch nicht sagen, Sie könnten aber einen bestimmten Job aufnehmen.
In der Regel bis zu 20 %. Bei mehr als 20 % Einkommensverlust ist eine Verweisung häufig unzulässig. Leider wird aber in jedem Einzelfall entschieden, viele Einzelheiten sind auch streitig. Manchmal ist die genaue Definition im BU-Vertrag explizit geregelt!
Die Umorganisation muss zumutbar und wirtschaftlich sinnvoll sein. Sie dürfen nicht gezwungen werden, Ihren Betrieb zu ruinieren oder eine untergeordnete Rolle zu übernehmen. Je kleiner der Betrieb ist, desto schwerer ist es für die BU-Versicherung Leistungen abzulehnen.
Lassen Sie sich von einem spezialisierten Anwalt beraten. Oft lohnt sich der Gang vor Gericht.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist ein wichtiger Schutz für Ihre Existenz. Doch im Leistungsfall versuchen Versicherer oft, ihre Zahlungspflicht zu umgehen – durch Verweisung oder die Forderung nach Umorganisation. Lassen Sie sich davon nicht einschüchtern. Prüfen Sie Ihre Rechte, holen Sie sich Unterstützung und setzen Sie sich zur Wehr. Gute Vorbereitung und das Wissen um die eigenen Rechte sind der beste Schutz.
Wie eingangs beschrieben, stehen Sie als Betroffener oft vor einer Wand aus Paragraphen, Gutachten und Versicherungsbedingungen. Doch mit dem richtigen Wissen und der passenden Unterstützung können Sie Ihre Ansprüche durchsetzen. Lassen Sie sich nicht entmutigen – Ihre Versicherung ist für Sie da, nicht umgekehrt.